Советская власть реагировала на женский самиздат столь брутально, что некоторые из писательниц даже оказались в исправительных колониях. Поэтому в данной главе мы посмотрим на судьбы двух женщин, попавших в лагерь позднего советского периода.

Die Staatsmacht reagierte auf den Samisdat, indem manche der Autorinnen sogar in Strafkolonien kamen. Deshalb geben wir hier Einblick in das Leben von zwei Frauen in den Lagern der späten Sowjetunion.

«Начали поливать девчонок, сильным напором струи они гоняли их по камере. Многие были раздеты».

«Sie fingen an die Mädchen mit dem starken Strahl von Feuerwehrschläuchen durch die Zelle zu jagen. Viele waren nackt».

Юлия Вознесенская «Письмо из Новосибирска». Альманах «Женщина и Россия», Ленинград, 1979 г.

Aus «Brief aus Nowosibirsk» von Julia Wosnessenskaja. In: «Die Frau und Russland», Leningrad, 1979.

Фото: Юлия Вознесенская в ссылке в Воркуте, 1977 г. На обратной стороне надпись: «А это я в бегах. Прибежала из ссылки домой, а меня засадили править собственные стихи […]». / Foto: Julia Wosnessenskaja in der Verbannung in Workuta, 1977. Sie vermerkt auf der Rückseite: 
«Das bin ich auf der Flucht. Eben bin ich aus der Verbannung geflohen, als man mich zwang, meine Gedichte zu korrigieren […].»
Юлия Вознесенская в ссылке в Воркуте, 1977 г.
Julia Wosnessenskaja in der Verbannung, Workuta, 1977.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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«А это я в бегах. Прибежала из ссылки домой, а меня засадили править собственные стихи […]».

«Das bin ich auf der Flucht. Eben bin ich aus der Verbannung geflohen, als man mich zwang, meine Gedichte zu korrigieren […].»

Юлия Вознесенская. Надпись на обороте фотографии.

Julia Wosessenskajas. Аufschrift auf der Rückseite des Fotos.

«Лазарева! Опять у Вас носки в постели!»

«Lasarewa! Ihre Socken liegen ja schon wieder im Bett!»

Ирина Ратушинская, «Серый цвет надежды», 1988 г.

Aus Irina Ratuschinskaja, «Grau ist die Farbe der Hoffnung», 1988.

Наталья Лазарева, Ленинград, 1980. Она носит модные джинсы и опирается на автомобиль. / Natalja Lasarewa, Leningrad, 1980. Sie trägt modische Jeans und stützt sich auf ein Auto.
Наталья Лазарева, Ленинград, 1980.
Natalja Lasarewa, Leningrad, 1980.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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Носки Натальи Лазаревой из лагеря в Мордовии. / Socken von Natalja Lasarewa aus dem Lager in Mordwinien.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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Носки Натальи Лазаревой, связанные «бабой Машей» и «бабой Шурой» в 1982 г. в женском лагере в Мордовии. Обе принадлежали к непризнанной христианской группе, за что и были арестованы. В силу возраста, обеих освободили от обязательных работ. Они помогали другим женщинам – вязали тёплую одежду заключённым. Заплаты нашила Раиса Руденко, диссидентка из Украины, в 1983 г.

Socken von Natalja Lasarewa. Die Socken wurden 1982 von «Baba Mascha» und «Baba Schura», im Frauenlager in Mordwinien gestrickt. Beide waren als Anhängerinnen einer nicht anerkannten christlichen Gruppe inhaftiert. Sie waren wegen ihres hohen Alters von der Zwangsarbeit befreit und halfen den anderen Frauen, indem sie ihnen warme Kleidung strickten. Die Flicken wurden 1983 von der ukrainischen Dissidentin Raisa Rudenko aufgesetzt.

Hосовой платок Натальи Лазаревой из лагеря в Мордовии. / Taschentuch von Natalja Lasarewa aus dem Lager in Mordwinien.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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Носовой платок – подарок Наталье Лазаревой ко дню рождения в 1980 г., во время которого она находилась в женском лагере. Ирина Ратушинская вышила для подруги лягушонка – символ Натальи.

Natalja Lasarewa erhielt dieses Taschentuch Mitte der 1980er-Jahre im Lager in Baraschwo als Geburtstagsgeschenk von Irina Ratuschinskaja. Diese bestickte das Taschentuch mit einem Frosch, dem Symbol Natalja Lasarewas.

Анастасия Кириченко / Anastasija Kiritschenko

«[...] связь, которая поддерживалась […] такими индивидуальными штучками [подарками, рисунками], позволяла, как мне кажется, оставаться собой, оставаться человеком […]».

«Mir scheint, dass die Verbindung, die durch […] solche kleinen individuellen Dinge [Geschenke, Zeichnungen] aufrechterhalten wurde, es erlaubte man selbst zu bleiben, ein Mensch zu bleiben […]».

Анастасия Кириченко, активистка и феминистка из Херсона, Украина, объясняет, почему ей представляется важным знание о стратегиях выживания советских диссиденток.

Anastasija Kiritschenko, feministische Aktivistin, Cherson, Ukraine, erklärt, warum es wichtig ist, sich mit den Überlebensstrategien sowjetischer Frauen zu beschäftigen.

Übersetzung

Diese liebevollen kleinen Bilder, … mir scheint es, dass die Beziehungen, die durch solche kleinen individuellen Dinge aufrechterhalten wurden, es erlaubten, man selbst zu bleiben, inmitten von allem diesem ein Mensch zu bleiben und sich nicht auf eine Stufe erniedrigen zu lassen, auf der es diese Schicht Menschlichkeit nicht mehr gibt.
Ich glaube, dass also diese Dinge ihnen sehr geholfen haben, Beziehungen aufzubauen und Gefühle auszudrücken: Freundschaft und Humor auf der einen Seite. So etwas gab es selbst unter solchen Umständen.
Ich denke, dass egal welche Gegenstände sie damals [im Lager] besaßen, ... ich glaube, dass sie ganz andere Dinge mitnahmen [als wir das machen würden], dass sie ganz andere Einstellungen dazu hatten.
Sie hatten ganz andere Bedeutungen für sie. Sie haben sie viel mehr berührt, sie waren zu einem gewissen Grad viel persönlicher, als wenn sie diese Gegenstände im Alltag gehabt hätten.
Unter diesen Bedingungen, diesen sehr speziellen, unter denen sie gezwungen waren zu leben.
[Diese Gegenstände] konnten für sie einen Sinn transportieren, einen zu einem gewissen Grad verschlüsselten [Sinn] oder im gewissen Maß auch eine Art Verbindung, um das Leben zu erleichtern.
Es gibt eine traditionelle Arbeitsteilung zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht.
Und traditionell haben Frauen zu nähen und zu sticken gelernt, ob Frauen das wollten oder nicht. Es galt als Aufgabe des weiblichen Geschlechts. Und deshalb bekamen, denke ich, ... bekamen die Frauen [im Lager] genau diese Arbeiten. Und soweit ich weiß, nähen bis heute Frauen in den Strafkolonien Uniformen an Nähmaschinen, an alten Maschinen, … aber trotz allem nähen sie Uniformen, und auf diese Weise wird ihre Arbeitskraft ausgenutzt.
Und deshalb denke ich, dass in diesem Sinn … Wenn wir also von tätig sein als Form des Überlebens sprechen, [Arbeit] in diesem weiteren Sinne, dann denke ich, dass auch sie den Frauen half, sich auszudrücken. Denn beim Nähen oder Sticken konnten sie sich künstlerisch ausdrücken. Wenn sie etwas Kleines stickten, nicht gerade an einer Uniform oder ein Taschentuch, sondern vielleicht etwas ganz Individuelles.
Und ich denke, dass es natürlich nicht so viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im post-sowjetischen Raum gibt, die sich damit beschäftigt haben, aber ich denke, dass diese Geschichte noch darauf wartet, dass sie erforscht und dass über sie geschrieben wird. Damit dann noch besser erklärt wird, warum [diese Gegenstände] so wichtig sind.

Рисунки Лазаревой отражают лагерный быт. Маленький Пегасик – рисунок Натальи Лазаревой – предположительно, предназначался для книжки в подарок Ирине Ратушинской к её тридцатилетию 4-го марта 1984 г. в лагере в Мордовии. Книжка из рисунков и стихов рассказывала о приключениях маленького Пегасика, символизировавшего поэтессу Ирину Ратушинскую. На картинке Пегасик мчится к почтовому ящику на «малой зоне», чтобы отправить жалобу. Рисунок с ангелами изображает сцену лагерного быта. Женщины-заключённые должны были вязать варежки. Пожилые женщины, неспособные к тяжёлой работе, вязали чулки для других заключённых. Один из ангелов держит плакат с надписью «Баста!» — это пикетчик. Жалобы и голодные забастовки были формами протеста женщин-заключённых. Тёплые чулки играли здесь особую роль: в наказание за протесты женщин запирали в карцере, где было очень холодно, а из одежды разрешено было иметь только нижнее бельё.

Lasarewas Zeichnungen illustrieren den Alltag im Lager in Mordwinien. Den kleinen Pegasus zeichnete Natalja Lasarewa vermutlich für ein Büchlein zum 30. Geburtstag der ebenfalls inhaftierten Dichterin Irina Ratuschinskaja am 4. März 1984 im Lager in Mordwinien. In dem Büchlein mit Zeichnungen und Gedichten ging es um die unglaublichen Abenteuer des kleinen Pegasus, der für Ratuschinskaja steht. Hier beeilt er sich, eine Beschwerde in den Briefkasten der «kleinen Zone» zu werfen. Wie die kleinen Engel mussten die inhaftierten Frauen Handschuhe nähen. Ältere Frauen, die nicht mehr zur Arbeit verpflichtet wurden, strickten für Mitgefangene warme Wollstrumpfhosen. Ein Engel steht neben einem Schild mit der Aufschrift «Basta», er streikt. Mit Beschwerden und (Hunger)Streik protestierten die Frauen gegen Verletzungen ihrer Rechte. Warme Unterwäsche war wichtig, da sie für ihren Protest oft in den Karzer kamen, in dem nur Unterwäsche erlaubt war und es meist sehr kalt war.

Рисунок Натальи Лазаревой, Мордовия, 1984 г. Пегасик (Ирина Ратушинская) спешит к почтовому ящику, чтобы отправить жалобу. Ниже надпись: Барашево, 1984 г. / Skizze von Natalja Lasarewa, Mordwinien, 1984. Der Pegasus (Irina Ratuschinskaja) eilt zum Briefkasten, um eine Beschwerde einzuwerfen. Darunter: Baraschewo, 1984.
Рисунок Натальи Лазаревой, Мордовия, 1984 г.
Skizze von Natalja Lasarewa, Mordwinien, 1984.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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Рисунок Натальи Лазаревой, Мордовия, 1980-е гг. Три ангела на облаках, один шьет перчатки, другой вяжет чулки, третий забивает гвоздь в стол. / Skizze von Natalja Lasarewa, Mordwinien, 1980er-Jahre. Drei Engel auf Wolken, einer näht Handschuhe, einer strickt lange Unterhosen, einer schlägt einen Nagel in einen Tisch.
Рисунок Натальи Лазаревой, Мордовия, 1980-е гг.
Skizze von Natalja Lasarewa, Mordwinien, 1980er-Jahre.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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Рисунок Натальи Лазаревой, Мордовия, 1980-е гг. Ангел на облаке, рядом с ним табличка с надписью «Баста!» / Skizze von Natalja Lasarewa, Mordwinien, 1980er-Jahre. Engel auf einer Wolke, neben ihm ein Schild mit Aufschrift „Basta!“
Рисунок Натальи Лазаревой, Мордовия, 1980-е гг.
Skizze von Natalja Lasarewa, Mordwinien, 1980er-Jahre.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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