Советская власть мгновенно обратила внимание на публикации ленинградок. В данной главе мы посмотрим, чем обернулось это внимание со стороны КГБ для писатльниц и их семей, и к каким методам обращалась власть.

Die Staatsmacht reagierte sehr schnell auf die feministischen Publikationen. Warum, mit welchen Mitteln und Folgen für die Autorinnen und ihre Familien, das ist die Leitfrage dieser Station.

Небольшой рисунок Натальи Лазаревой (высота около 7, ширина 10 см) «Татьяна Горичева покидает страну», начало 1980-х гг. Человеческая фигура в длинном халате идет по полю с крестами. / Kleine Zeichnung Natalja Lasarewas (ca. 7 hoch, 10 cm breit) mit dem Titel «Tatjana Goritschewa verlässt das Land», Anfang 1980er-Jahre. Eine Figur in langem Gewand läuft durch ein Feld mit Kreuzen.
«Татьяна Горичева покидает страну», рисунок Натальи Лазаревой, начало 1980-х гг.
«Tatjana Goritschewa verlässt das Land», Zeichnung, Natalja Lasarewa, Anfang 1980er-Jahre.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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Вячеслав Долинин / Wjatscheslaw Dolinin

«Этот сборник как раз и говорил о том, что социальные права в Советском Союзе нарушаются. Это было очень болезненно для Кремля [...]».

«Diese Texte zeigten, dass auch die sozialen Rechte in der Sowjetunion verletzt wurden. Das traf den Kreml sehr empfindlich [...]».

Вячеслав Долинин, бывший политзаключённый и историк самиздата из Санкт-Петербурга, говорит о реакции на женский самиздат. О том же – Ирина Юкина, учёная-историк из Санкт-Петербурга.

Wjatscheslaw Dolinin, ehemaliger politischer Gefangener und Samisdat-Experte, St. Petersburg, berichtet von den Reaktionen auf «Die Frau und Russland». Dazu auch Irina Jukina, Historikerin, St. Petersburg.

Übersetzung

Soweit ich mich erinnere, fiel mir der Almanach «Die Frau und Russland» im Oktober 1979 in die Hände. Das war einе Sammlung von Texten mit grünem Einband aus Karton. Goritschewa gab mir den Sammelband. Ich muss sagen, dass der Band einen starken Eindruck auf mich machte. Das war ein ganz unerwartetes Phänomen im Samisdat!
Ich habe mein ganzes Leben Samisdat gelesen. In den letzten Jahren vor meiner Verhaftung habe ich außer Samisdat und Tamisdat überhaupt nichts Sowjetisches gelesen. Was in der Sowjetunion gedruckt wurde, interessierte mich nicht.
Und dann kam diese Textsammlung! Sie unterschied sich deutlich vom damals gewohnten Samisdat. Es gab den Samisdat der Menschenrechtler*innen. Unzählige ihrer Texte wurden unter der Hand herausgegeben. Aber da ging es meist um politische Verfolgung, um die schwierige Ausreise aus der UdSSR, um die Verfolgung von religiösen Gruppen.
Doch diese Ausgabe berührte Fragen, die bis dato unbeachtet geblieben waren. Sie behandelte die soziale Lage von Frauen und von Müttern und Kindern in der Sowjetunion. Das kam nicht nur für mich unerwartet, sondern auch für die Leser*innen, ausländische Journalist*innen und Expert*innen.
Die sowjetische Propaganda hatte ein Bild von einem Land verbreitet, in dem es keine sozialen Probleme gab. Nun ja, Probleme gab es bei den Menschenrechten, ebenso politische und zivilgesellschaftliche. Aber dafür sollte es keine sozialen Probleme geben. Das war natürlich eine Lüge.
In dieser Textsammlung ging es um die Verletzung der sozialen Rechte in der Sowjetunion. Das traf den Kreml und seine Propaganda sehr empfindlich. Die Sowjetunion, die sich dem Westen in Hochglanzjournalen, in den sowjetischen Kinochroniken und in den sowjetischen Filmen präsentierte, war eine ganz andere. Das Bild des Landes, das der Almanach vermittelte, unterschied sich davon stark. Eben daher war unsere Regierung so besorgt über die Veröffentlichung der Ausgabe. Und genau deshalb reagierten sie besonders stark auch auf den Samisdat den die Initiativgruppe der körperlich Beeinträchtigten und die unabhängige Gewerkschaft (SMOT) herausgegeben hatten.
Das heißt, die Propaganda-Thesen der offiziellen Kreml-Propaganda, wurden durch die Fakten entlarvt, die die Veröffentlichungen der Feministinnen, der Initiativgruppe behinderter Menschen und der unabhängigen Gewerkschaft aufzeigten. Das war gefährlich für unsere Propaganda! Das war ein Angriff auf den sowjetischen Lebensentwurf.
1980 musste der KBG die Stadt von unerwünschten Elementen säubern, weil die Olympiade bevorstand. Was machte also der KGB, gemeinsam mit dem Innenministerium? Sie säuberten die Stadt von Obdachlosen, Prostituierten, Drogenabhängigen und Dissident*innen. Goritschewa und Malachowskaja wurden ausgewiesen. Das Flugzeug flog am 20. Juli 1980 nach Wien, am Tag [nach] der Eröffnung der Olympischen Spiele.

«как только появился женский номер о социальных проблемах, который, собственно говоря, рушил весь миф о советской женщине, о её эмансипации, за них тут же взялись довольно серьёзно»

«als die Ausgabe der Frauen über soziale Probleme erschien, womit sie sozusagen den ganzen Mythos über die sowjetische Frau und über ihre Emanzipation zerstörten, wurden sie sofort sehr ernst genommen»

Ирина Юкина, учёная-историк из Санкт-Петербурга о реакции на женский самиздат.

Irina Jukina, Historikerin, St. Petersburg, über die Reaktion auf «Die Frau und Russland».

Übersetzung

Ihre Lage wurde kompliziert, denn für den männlichen Teil der Dissidentenbewegung waren das Weiberthemen, unwichtige Themen, aber durchaus sehr explosive! Genau das wurde auch daran deutlich, was passierte, als die erste Nummer, «Die Frau und Russland», erschien.
Genauer … Als sich der KGB für sie sehr interessierte, erschraken sie sehr. Ich weiß das von [Natalia] Malachowskaja persönlich, das sie dann verfolgt hat.
Bis dato hatten Zeitschriften von Dissidenten existiert und sie machten es möglich, die Kritik der Intelligenzija zu kanalisieren.
Ihre Texte waren in einem schwierigen Stil geschrieben und wurden in ganz wenigen Nummern herausgegeben. Man erlaubte ihnen, zu existieren.
Doch als die Ausgabe der Frauen über soziale Probleme erschien, womit sie sozusagen den ganzen Mythos über die sowjetische Frau und über ihre Emanzipation zerstörten, wurden sie sofort sehr ernst genommen.

I. Jukina

С 1980 г. создательниц феминистического самиздата стали принуждать к «добровольному» выезду за пределы СССР. КГБ прибег к мерам запугивания: проводились обыски, женщинам угрожали арестом. Юлия Вознесенская рассказывает о том, как её постоянно преследовали неизвестные мужчины, и об угрозах призвать сыновей на военную службу в Афганистан. Наталия Малаховская вспоминает о том, как с ней прямо на улице заговорил некто и ультимативно велел ей в течение двух дней покинуть страну. Австрийская виза, изображённая здесь, была выдана Алле Сарибан и открывала ей трансфер в Израиль, хотя она не еврейка и в Израиль ехать не собиралась.

Die Autorinnen des feministischen Samisdats wurden gedrängt «freiwillig» auszureisen. Der KGB unternahm alles, um sie einzuschüchtern: ihre Wohnungen wurden durchsucht, Julia Wosnessenskaja berichtet von Männern, die vom KGB eingesetzt wurden, um sie zu «stalken». Ihre Söhne sollten kurzfristig zum Krieg in Afghanistan eingezogen werden. Natalia Malachowskaja berichtet, dass Männer sie auf offener Straße ansprachen und ihr nahelegten, innerhalb von zwei Tagen auszureisen. Das hier zu sehende österreichische Visumsdokument erlaubte Alla Sariban, über Österreich nach Israel zu reisen. Sie erinnert sich, dass ihr eine Ausreise nach Israel bewilligt wurde, obwohl sie keine Jüdin war und nicht nach Israel emigrieren wollte.

Виза, выданная Алле Сарибан, 1981 г. Виза дает право на «однократный въезд в Австрию с целью дальнейшего следования в Израиль». / Visumsdokument von Alla Sariban, 1981. Das Visum erlaubt eine „einmalige Einreise nach Österreich zwecks Weiterreise nach Israel“.
Виза, выданная Алле Сарибан, 1981 г.
Visumsdokument von Alla Sariban, 1981.
Из архивов Исследовательского центра Восточной Европы при Бременском университете, Бремен, FSO 01-197. / Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, FSO 01-197.
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«[…] они сказали, что у нас на выбор две возможности – отправиться либо в Сибирь, либо на Запад [...]»

«[...] sie haben gesagt, dass wir wählen können, entweder nach Sibirien oder in den Westen [...]»

Алла Сарибан рассказывает о своем выезде из СССР.

Alla Sariban berichtet von ihrer Ausreise aus der Sowjetunion.

«Дорогая Наташа! Мы даже не попрощались толком – я до последнего мгновения верила, что какое-то чудо оставит меня в Ленинграде…».

«Liebe Natalja! Wir haben uns nicht einmal ordentlich verabschiedet – bis zum letzten Augenblick habe ich fest daran geglaubt, dass ich wie durch ein Wunder in Leningrad bleiben können würde...».

Татьяны Мамоновой. Почтовая открытка адресованная Наталье Лазаревой, 1980 г., Вена.

Tatiana Mamonova. Postkarte an Natalja Lasarewa, 1980, Wien.

Почтовая открытка от Татьяны Мамоновой с видом на Вену с воздуха, адресованная Наталье Лазаревой, 1980 г., Вена. / Postkarte Tatiana Mamonovas mit Luftaufnahme Wiens an Natalja Lasarewa, 1980, Wien.
Почтовая открытка от Татьяны Мамоновой, адресованная Наталье Лазаревой, 1980 г., Вена.
Postkarte Tatiana Mamonovas an Natalja Lasarewa, 1980, Wien.
Из архивов Фонда Иофе, Санкт-Петербург. / Benjamin-Joffe-Stiftung, St. Petersburg.
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Мария Малаховская / Maria Malachowskaja

«[...] но это почти как на тот свет [...]».

«[...] das war, als ob sie ins Jenseits gegangen wäre [...]».

Мария Малаховская, Санкт-Петербург, вспоминает о прощании с сестрой, Наталией Малаховской, высланной из СССР в 1980 г.

Maria Malachowskaja, St. Petersburg, erzählt vom Abschied von ihrer Schwester Natalia Malachowskaja.

Übersetzung

Sie hatte mir gesagt: «Sie bedrohen mich. Vielleicht werde ich ganz schnell ausreisen.» Aber es war trotzdem ein bisschen abstrakt. Deshalb bin ich ganz entspannt mit meiner Freundin nach Tiflis gefahren.
Ich habe dort ein Telegramm von meinen Eltern bekommen, dass Natascha am 20. Juli abgeflogen war. Ich wusste, dass das passieren würde, aber so schnell, ja, fast innerhalb von 48 Stunden loszufahren … Nein, wahrscheinlich war es nicht ganz so, denn unsere Eltern und sie machten noch einen Abschiedsabend. Sie sangen Lieder und fuhren noch zum Friedhof. Meine Eltern hatten davon natürlich erst im letzten Moment erfahren.
Es war klar, dass sie dorthin fuhr, aber das war, als ob sie ins Jenseits gegangen wäre… von dort kehrte man nicht zurück. Nun, es gab den Eisernen Vorhang. Und, sie war ja nicht einfach so ausgereist. Sie reiste als Dissidentin aus, als, ja, fast Volksfeindin. Wir konnten nicht zu ihr, und sie nicht zu uns. Wir schrieben uns und telefonierten. Das war's.